Achtung!
Sie lesen einen Werbetext. Er wird Ihr weiteres Denken, Handeln und Schreiben beeinflussen. Leider ist er nur zum Teil gut. Welchen Teil streichen Sie?
„Wir brauchen einen Werbetext der verkauft! Eine Schlagzeile, die unsere Konkurrenz pulverisiert“, fordert Ihr Chef. „Werbetexte liest doch keiner!“ stöhnt ein genervter Kollege. „Schreiben wir einfach: Exklusive Spitzentechnik ist unser größtes Know-how?“ Was streichen Sie? Streichen Sie exklusiv, Spitzentechnik und größtes Know-how. Was bleibt da noch? Nichts! Wo nur in Worthülsen geschrieben wird und keine Story für Aufmerksamkeit sorgt, bleibt nichts im Gedächtnis.
Bullshit
Blättern Sie vor Ihrem geistigen Auge in Magazinen und Broschüren und lesen Sie mit: „Qualität ist unsere Devise.“ „Für höchste Ansprüche.“ „Technologien von morgen.“ „Komplettlösungen und Effizienzsteigerungen.“ „Qualität, die man schmeckt.“ „Spitzenqualität hat oberste Priorität.“ „Unsere Qualitätsstandards sind die konsequente Richtschnur aller Prozesse.“ „Faszination erleben, Ziele erreichen!“ „Private und gewerbliche Kunden erleben bei uns das volle Leistungsspektrum des Handels – mit Sortimenten, die in puncto Vielfalt, Qualität und Preis keine Wünsche offen lassen.“ „Unser Erfolg basiert auf der konsequenten Orientierung an den Erwartungen der Kunden.“ „Wir bieten Ihnen umfassende Handelskompetenz, Internationalität und hohe Innovationskraft.“ „Vom feeling her hab ich ein gutes Gefühl“, sagte Andy Möller, ehemaliger Fußballer.
Das kennen Sie schon alles?
Sehen Sie. Typisch Reklame. In dieser Menge fühlt sich Text wie Zahnweh an, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Wirkung kommt einer Gehirnwäsche gleich. Sie finden das vielleicht richtig, weil Sie es bei Anderen so schon einmal gelesen haben. Allein die Tatsache, dass diese Texte veröffentlicht wurden, bedeutet nicht, dass sie gut sind, und es bedeutet ebenfalls nicht, dass sie wirken und sich im Gedächtnis festsetzen. „Spürst Du was beim Sex?“ „Nein, mein Mann ist Anästhesist“, sagt die Frau zu ihrer Freundin.
Welcher Teil dieser Werbetexte ist nun gut und welcher schlecht?
Lesen Sie Werbemails, Produktdatenblätter, Anzeigen, Broschüren, Flyer oder lesen Sie im Internet nach. Es wird keine Floskel, keine Phrase ausgelassen und in jede Worthülse hineingetreten. Fühlen und erleben Sie etwas beim Lesen der Texte? Nein? In den Papierkorb damit. Die meisten Werbetexte will man gar nicht lesen, denn es steht kaum etwas drin, was lesenswert wäre. Den Lesern ist spätestens nach dem ersten Satz klar, dass dies Bullshit ist, und steigen aus. Ende der Werbegeschichte.
Jetzt reicht es
Ist denn alles schlecht? Ja, 90 % der deutschen Werbetexte sind Bullshit. „Aber das kann doch nicht sein! Die Verfasser sind Experten, Journalisten und Werbetexter!“ Ja, aber auch nicht jeder Klempner ist gut. Viele Werbetexte sind festgefahren. Ein Werbe-Jargon hat sich geprägt, der in der Masse weichgespült wirkt, nichts mehr aussagt und in der Menge der Botschaften, die täglich auf uns einprasseln, untergeht.
Es geht noch schlechter
Hier spricht ein junger Mitarbeiter auf einer Internetseite zu Jungakademikern. Ein Testimonial, das potentielle Hochschulabsolventen für das Unternehmen begeistern soll. „Bei der Entwicklung innovativer Lösungskonzepte für die technischen Anforderungen unserer Kunden finde ich die Herausforderungen, die meinen Neigungen voll entsprechen. Individuelle Mitarbeiterförderung und Karriereplanung sind ganz wichtig. Die Zusammenarbeit mit den überwiegend technischen Berufen finde ich besonders interessant, weil ich als Psychologe von dem umsetzungsorientierten Denken unserer Ingenieure für meine Arbeit sehr profitiere.“ So spricht doch kein Psychologe, der JungakademikerInnen überzeugen will. So spricht nur der Marketingstratege. Man liest Unternehmensstrategie, aber begeistert man so zukünftige Mitarbeiter?
Was ändern Sie?
Ein anderes Unternehmen schreibt ebenfalls an die Zielgruppe Studenten. Die Abbildung zeigt junge StudentInnen, die direkt in die Kamera schauen. Headline: „Wenn´s einfach wäre, bräuchtet ihr uns nicht.“ Im Vergleich zu vorher spricht hier die Zielgruppe selbst. Der Text hat seinen Blickwinkel und die Perspektive auf das Thema gewechselt. Die veränderte Textperspektive verändert auch die Tonalität. Der Text tönt gleich ganz anders, und die Haltung des Unternehmens passt sich der Haltung der Zielgruppe an. Das Imponiergehabe weicht der Zielgruppenperspektive. Die StudentInnen werden mit einbezogen. Der Text wirkt emotional und erreicht jetzt deren Einstellungen und Motive.
Fangt das Phrasenschwein ein
Floskeln, Worthülsen, bedeutungsleere Fremdwörter, abgedroschene Phrasen, zusammengesetzte Adjektive und Substantive sind die stilistischen Hauptschuldigen, die Texte nicht besser sondern schlechter machen. Sie haben Saft und Kraft verloren, sind ausgelutscht, abgenutzt, austauschbar und billige Reklame. Benutzt man sie weiter, führen sie zu Allgemeinheiten, Superlativen und Nonsens.
Zeit für Veränderung
„Denken Sie mal darüber vor“ schreibt eine Wirtschaftszeitung in Ihren Anzeigen und schließt mit dem Claim „Wissen, was wichtig wird“ ab. Gut, oder? Die Leser der Wirtschaftsteile verstehen das richtig. Eine einfache wie geniale Textmechanik. Sprichworte, Klischees, Floskeln und Redensarten werden abgewandelt und, die Floskel darf einmal sein, zahlen in den Claim ein. Die Headline weicht ab von Normen, Mustern und Regeln. Ein Prinzip guter Texte.
Bullshit Bingo
Nehmen Sie einen beliebigen Ursprungstext aus Ihrer Schublade.
Unterstreichen Sie die Passagen, die am wenigsten aussagen, bildleer bleiben, wichtigtuerisch und typisch für Ihre Branche sind. So genannte Luftblasen oder Phrasenschweine – Bullshit eben. Dieser kann Moden unterliegen und ist branchen- oder zielgruppenspezifisch. Er ist schlicht hohl, unkonkret und trendy. Bullshit ist auch, wenn jemand aus Gründen der Angeberei so redet oder schreibt, wie es kein normaler Mensch jemals tun würde. Schlimmer noch, wenn es unverständlich wird.
Erstellen Sie eine Liste der Bullshit Wörter Ihrer Branche
Ihre Aufmerksamkeit für Bullshit beim Schreiben können Sie steigern, indem Sie sich über die schlechten Formulierungen Ihrer Branche im Klaren sind. Veranstalten Sie Lesungen Ihrer Business-Texte zur Happy Hour. Lautes Lachen erwünscht. Es lohnt sich, alle diese Wörter einmal auf einem Blatt Papier zu versammeln. Dieses Papier macht sich zum Beispiel gut an Wänden neben dem PC oder direkt an der Bürotür. Bingo.
Guter Text ist gute Story
Bessere Texte erzählen und schreiben in Bildern. Geschichten zielen auf die Faszination der Produkte und das Image der Marke. Erzählen und berühren statt beschreiben und erklären ist ein Weg aus der Textkrise. Spannende Texte durch Storytelling werden lieber gelesen, besser erinnert und überzeugen durch Drama.
Im Vergleich hört sich das so an
„Jede Fahrt ein Erlebnis“ ist so schal, wie das abgestandene Bier von gestern. Darum geht es nicht an dieser Stelle? Doch! Eine Frau mit französischem Akzent sagte dazu einmal: „Nicht schlecht für ein Diesel.“ Eine Zeitschrift wirbt mit: „Das neue Magazin hat das, wovon Ihre Mitarbeiter träumen.“ Die Konkurrenz schreibt besser: „Achtung: Es wird gleich anstrengend und frustrierend und langweilig und deprimierend und grau und auch ein wenig nervig. Willkommen in Deutschland. P.S.: Das Wetter wird auch scheiße.“ Ein Mineralölkonzern schreibt: „Gekonnte Kombination. Könnte es sein, dass Produktionskapazität und Produkt- und Servicequalität ein untrennbares Ganzes bilden?“ Der konkurrierende Mineralölkonzern textet: „Als Einzige verkaufen wir Markenkraftstoff günstiger. Sind wir eigentlich bescheuert?“ Eine Tageszeitung schrieb einmal: „Deutschlands wichtigster Stellenmarkt.“ Im Jahr darauf textete die neue Agentur: „Für alle, die ihr Eigenkapital vor allem im Kopf tragen.“ Plötzlich hört man wieder zu und liest weiter. Das Image verändert sich.
Der Limonadehersteller textet: “Ich möchte als Bionade wiedergeboren werden, sagte die indische Cola.“ Selbst die Müllabfuhr schreibt gute Texte: „Wie oft kannst Du kommen?“ Und auf den Brechtüten im Flugzeug liest man: „Vielen Dank für Ihre Kritik.“
„Where´s the beef“?
Gute Story folgt einer inneren Dramaturgie und Erzählstruktur: Die ausführlichen dramaturgischen Schritte einer kurzen Erzählung lauten: 1.Prolog, 2.Exposition, 3.Auslösendes Ereignis, 4.Konflikt, 5.Zielentwicklung, 6.Komplikationen geordnet als Klimax, 7.Höhepunkt, 8.überraschende Wendung, 9.Auflösung, 10.Branding und Codierung der Botschaft, 11.Epilog. Nicht alle Schritte müssen zwangsläufig in einer Story vorkommen.
Ein Beispiel. Eine Imagekampagne für Deutschland. Ein Text mit der Abbildung eines süßen 3-jährigen Jungen. Headline und auslösendes Ereignis: „Du machst uns wahnsinnig.“ Dann die Komplikationen als Klimax im Fließtext: „Du bist eine Nervensäge und ein Zeitfresser. Ständig musst Du im Mittelpunkt stehen. Du bekommst Masern und Windpocken und siehst böse Monster im Schrank. Man kann dich nicht eine einzige Sekunde aus den Augen lassen.“ Höhepunkt: „Ja, du machst uns wahnsinnig…:“ Überraschende Wendung und Happy End: „…vor Glück.“ Branding und Codierung: Logo und Claim „Du bist Deutschland.“
Für Hundebesitzer eine Story ebenfalls mit überraschender Wendung. Abbildung: Ein Hund schaut treudoof in die Kamera. Die Headline wird zum auslösenden Ereignis: „Ich lege ein Vermögen für Dich hin.“ Die Copy startet mit der Zielentwicklung: „Ich bezahle alles.“ Darauf folgen die Komplikationen: „Steuern, Versicherung, Medizin. Dein Spielzeug.“ Dann der Höhepunkt: „Deinen Unterricht!“ Darauf folgt die überraschende Wendung und Auflösung: Abbildung der Hundezeitschrift und der Claim: „Du liest, was Du liebst.“ Die Headline erzählt aus einer überraschenden Textperspektive und die Story trifft nicht nur die Motive der Hundebesitzer sondern auch ins Herz.
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